Cristina Celestino: Zwischen den Welten - séduction Magazin Germany
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DESIGN

Cristina Celestino: Zwischen den Welten

Von Redaktion 17/05/2024
SCHÖNE STRENGE: Die Mailänderin Cristina Celestino entwirft unter anderem Möbel für Fendi. Hinter den augenfälligen Entwürfen verbirgt sich ihr analytisches Naturell. Credit: Sara Magni
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Mit ihrer klaren, eleganten Handschrift entwirft die Mailänder Designerin Cristina Celestino vielschichtige Interieurs. Denn hinter der schönen Oberfläche verbirgt sich eine analytische Tiefe und Strenge, die in der Branche ihresgleichen sucht.

Man könnte Cristina Celestino als Nostalgikerin bezeichnen. Als eine, die gern Zeitreisen in die Vergangenheit unternimmt. Immerhin verwandelte sie vor einigen Jahren während der Mailänder Designwoche eine alte Straßenbahn in einen eleganten Salon.

Dieses Jahr gestaltete sie einen legendären Tennisclub aus den 1920er Jahren neu, und jüngst hat die Designerin in Rom den Umbau eines Palazzo abgeschlossen, von dem es heißt, Audrey Hepburn habe dort einmal gewohnt. Doch so richtig nostalgisch, so die Designerin, sei sie gar nicht. Zwar liebe sie Orte mit Geschichte, »aber ich verstehe mich eher als analytische Person, die tief mit der Vergangenheit verbunden ist und dabei eine Vision für die Zukunft entwickelt«.

Die Interiordesignerin ist eine der Gestalterinnen der Stunde. Sie hat Möbelkollektionen für Fendi Casa entworfen und Ladengeschäfte für Sergio Rossi eingerichtet. Ihre Kunden begeistert sie mit einer eigenen, charakteristischen Handschrift: italienisch und ikonografisch, elegant und experimentell in der Form, ohne dabei je verspielt zu wirken. Celestino arbeitet mit Mustern, Streifen und Farben. Und sie liebt die Geometrie.

AUF SPURENLESE: Was ist eigentlich typisch für eine Stadt? Für ein Ehepaar aus Rom machte Celestino sich auf die Suche nach den Merkmalen der italienischen Hauptstadt
Credit: DePasquale + Maffini

Übersetzt man diese Handschrift in ein Interieur, dann sieht das ungefähr so aus: Als sie zur Mailänder Möbelmesse 2023 besagten Tennisclub »Milano Bonacossa« bespielte, den der Architekt Giovanni Muzio 1923 erbaute, vereinfachte sie die vorhandenen architektonischen Elemente und inszenierte so ein »Rollenspiel, das die Wahrnehmung von Innenräumen umdrehte und eineVerbindung nach draußen herstellte«. Sie setzte auf helles Holz und weiche Polster, Teppiche in kupferfarbenem Orange und überdachte Sitzbänke im Innenraum. Wenn Celestino von Projekten wie dem Tennisclub erzählt, offenbart sich ganz deutlich ihr analytisches Naturell: »Wir haben die geometrische Verbindung zwischen einer Linie und einem Halbkreis untersucht, einem der bevorzugten Kompositionsthemen von Muzio, und sie zum verbindenden Merkmal der im Raum platzierten Objekte gemacht. Durch genaue grafische Strenge wurde der neue Bodenbelag zu einem Verweis auf die roten Tennis-Sandplätze.«

MILANO MATCH: Zur Design Week in Mailand bespielte Celestino einen historischen Tennisclub mit ihren Möbeln. Dabei zitierte sie die geometrischen Muster der alten Fliesen. Credit: DePasquale + Maffini

Dabei ist Strenge kein Begriff, den man instinktiv mit ihrer Arbeit in Zusammenhang bringt. Das Auge verbindet eine vermeintlich strenge Gestaltung meist mit dem fehlenden Einsatz von Farben oder mit kalten Materialien wie Stahl oder glattem Leder. Celestinos Arbeiten aber sind bunt und warm; streng ist sie eher in ihrer didaktischen Arbeit. Das macht Celestinos Interieurs so vielschichtig: Auf den ersten Blick sind sie einfach nur schön, erst bei genauerer Betrachtung offenbart sich die Metaebene.

Ihre Kunden begeistert Celestino mit ihrer charakteristischen Handschrift: ELEGANT und experimentell, ohne verspielt zu sein

Celestino, die privat italienische Möbelklassiker sammelt (gerade faszinieren sie Giovanni Offredis Entwürfe für Saporiti), kennt sich mit den Großmeistern ihres Landes aus. Allerdings darf man sie bei all der Liebe zu historischen Räumen und Objekten nicht mit einer Restauratorin verwechseln. Sie setzt Projekten deutlich ihren eigenen Stempel auf – und der ist eben ganz eindeutig zeitgenössisch.

So hat sie sich als eine der wichtigsten Designerinnen des Landes etabliert. Dass auch die französische Möbelmesse Maison & Objet sie 2022 zur Designerin des Jahres kürte, bestätigt ihren internationalen Erfolg. Ihre eigene Designmarke Attico Design gründete Celestino schon 2011, seit zehn Jahren gibt es auch ihr Interiordesignbüro, das sie unter dem Namen Cristina Celestino Studio führt. Die Liste der Unternehmen, mit denen sie zusammengearbeitet hat, ist lang: Ames, Kaldewei, Luisa Via Roma und natürlich Fendi Casa, für die sie eine ganze Kollektion rund um Fendis ikonische Pequin-Streifen entwarf, die das italienische Traditionshaus 1987 lancierte. Erneut eine historische Referenz? Ja – obwohl Celestino für die Präsentation der Kollektion sogar noch weiter zurückreiste und die Möbel mit Streifen und Lederdetails in einem Setting präsentierte, das an ein typisch römisches Zuhause der 1970er Jahre erinnerte.

Wann immer ein Projekt es erlaubt, entwirft die Designerin Möbel für Interiorprojekte auch nach Maß. »Ich kombiniere aber auch Stücke von Designern, die ich liebe, sowohl von zeitgenössischen Gestaltern als auch vergangenen. Ich glaube, dass man das beste Ergebnis erzielt, wenn man Dinge miteinander vermischt«, sagt die 1980 in Pordenone geborene Gestalterin.

Die Melange suchte sie auch in dem römischen Palazzo, dem man die (nicht ganz eindeutig bestätigte) Verbindung mit Audrey Hepburn nachsagt. In allen Räumen setzte sie auf großzügige Kurven und lange Linien, auf orangefarbenen Onyx und Kupfer. Kleine Nischen akzentuierte sie in staubigem Mintgrün, hinein setzte sie eine Sitzbank mit furnierter Vertäfelung. »Die Gestaltung von Wohnhäusern ermöglicht eine tiefe Auseinandersetzung mit der menschlichen Essenz der Architektur«, antwortet sie auf die Frage, inwiefern sich der Gestaltungsprozess für Privatpersonen oder Marken unterscheide. »Einem Zuhause eine Form und Vision zu geben, ist ein komplexer und fesselnder Prozess. Auf der anderen Seite erweitert das Gestalten für Marken die Perspektive auf eine breitere und umfassendere Skala«, sagt Celestino. »Die Kreationen müssen mit einer breiten Zielgruppe in Resonanz stehen und meine persönlichen Eindrücke möglicherweise außer Acht lassen. Außerdem verlangen kommerzielle Projekte oft ein schnelleres Tempo.«

Celestino findet »immense Zufriedenheit darin, beide Bereiche zu navigieren«, ergänzt aber, dass es komplexer sei, mit »einer leeren Leinwand«, also einer Carte blanche der Auftraggeber zu arbeiten. »Persönlich liebe ich interdisziplinäre Einflüsse, daher ist es oft interessanter und herausfordernder, eine Aufgabenstellung zu erhalten und daran zu arbeiten.«Übrigens wäre Cristina Celestino auch gern Floristin geworden. Die Welt der Blumen und Pflanzen dient ihr täglich als Inspiration.

»Oft erforsche ich selbst die kleinsten Teile einer Blüte«, sagt die Designerin. Ihre neueste Kooperation ist eine Kollektion von wiederbefüllbaren Duftkerzen mit Diptyque, für die sie ovale, gefärbte Gläser entwarf – in »individuellen Farbpaletten, die die Essenz des jeweiligen Duftes am besten verkörpern«. Cristina Celestino mag keine Nostalgikerin sein. Aber sie lädt Objekte und Räume mit Bedeutung auf und entwirft so für Menschen, die gern in Gedanken reisen.

Einem Zuhause eine FORM und VISION zu geben, ist ein komplexer und fesselnder Prozess

AUTORIN: Valerie Präkelt