Vincent Van Duysen: Der Meister dezenter Raffinesse - séduction Magazin Germany
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DESIGN

Vincent Van Duysen: Der Meister dezenter Raffinesse

Von Redaktion 25/10/2023
Credit: PR
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Ein Minimalist ist der belgische Designer Vincent Van Duysen wahrlich nicht. Doch kaum jemand beherrscht das Spiel mit der Reduktion so gekonnt wie der Tausendsassa aus Antwerpen.

»Für mich als Genießer ist SCHÖNHEIT etwas
Unvergängliches. Ich finde
sie überall im Leben«

Herr Van Duysen, ich wage zu behaupten: Licht spielt in Ihrer Arbeit die vielleicht größte Rolle. Stimmen Sie zu?

Für mich ist Licht genauso ein Baumterial wie ein Ziegelstein. Die Qualität des Lichts formt die Emotionen, die man in einem Raum empfindet. In meiner Architektur geht es aber immer auch um das Zusammenspiel, also ums Gleichge- wicht von Räumen, die in Licht getaucht sind, und solchen, die dunkler, gedämpfter und beruhigender sind. Ich denke, ich suche nach ähnlichen Prinzipien, wenn ich fotografiere.

Wenn Sie Interiors gestalten, arbeiten Sie mit einer sehr reduzierten Farbpalette. Bestimmt das Material die Farbe?

Tatsächlich stehen bei meinen Kreationen natürliche Materialien viel eher im Mittelpunkt als die bewusste Auswahl einer Farbe. Sie verleihen meinen Interieurs oder Produkten ein Gefühl von Ruhe und Ganzheitlichkeit. Ich denke, dass meine Arbeit so emotional ist, weil ich Rücksicht darauf nehme, wie Materialien im Raum wirken. Sie sollten organisch und natürlich sein und eine schöne Patina entwickeln.

Wie wählen Sie Möbel und Objekte aus?

Ich sage immer: Funktionalität, Langlebigkeit und Komfort sind die Hauptbestandteile meiner Arbeit. So wähle ich auch Möbel, Objekte oder Kunst aus. Letztere müssen mit den Räumen, die ich schaffe, in Dialog treten. Manchmal setze ich auf Möbel, die sich irgendwo im Grenzgebiet zwischen Kunst und Design bewegen, zum Beispiel Vintage-Stücke von Designern, die ich bewundere. Ich denke da etwa an Pierre Jeanneret, José Zanine Caldas oder Eyre de Lanux. Ihre Möbel sind sehr architektonisch. Das verhilft ihnen zu einer eigenen, großen Identität. Gleichzeitig sollten Möbelstücke aber auch ein Gefühl von Komfort und Ruhe vermitteln.

Sie arbeiten an der Schnittstelle zwischen Architektur, Interior- und Produktdesign. Wie verbinden Sie die Künste?

Ich habe die drei Disziplinen nie als voneinander getrennt betrachtet. Innen- und Außenräume sind eng miteinander verwoben, und das gilt auch für die Objekte und Möbel, die in ihnen stehen. Überhaupt betrachte ich die Architektur in einem breiteren Rahmen: Es geht nicht nur um die physische Konstruktion von Räumen, sondern darum, Räume zu schaffen, in denen Menschen leben können, umgeben von Kunst, Möbeln und Objekten. All diese Elemente sind Teil meiner Wohnkunst – eine Art Gesamtkunstwerk. Aber natürlich bin ich mir der verschiedenen Maßstäbe eines Projekts bewusst.

Lassen Sie uns über die Kunst reduzierter Räume sprechen. Was ist wichtig, damit Räume einen Charakter haben?

Ich stehe nicht auf minimalistische, nüchterne Innenräu- me. Ich will Seele. Ich glaube sogar, dass sich meine Arbeit ganz stark gegen die seelenlosen, klischeehaften Ideale des Minimalismus richtet. Der Minimalismus ist eine Bewegung in der bildenden Kunst, die sich ab den 1960er Jahren in den Vereinigten Staaten manifestierte. Meine Aufmerksamkeit gilt einer reinen Ästhetik, indem ich die Unordnung löse und zum Kern vordringe. Im Übrigen bin ich auch der Meinung, dass die Technologie heute zu sehr aufgeblasen wird. Sie soll- te nicht die Oberhand über die Schöpfung gewinnen. Sonst wird alles seelenlos, ohne Spiritualität und menschliche Note. Abgesehen davon bedeutet Authentizität für mich, zu einfacheren Proportionen und zur Sinnlichkeit zurückzukeh- ren. Ich versuche, die Essenz der Form zu wahren und strebe gleichzeitig nach klarem und zeitlosem Design. Ich entwerfe immer unter Berücksichtigung von Kontext und Tradition und stelle immer den Menschen in den Mittelpunkt.

Wie blicken Sie eigentlich auf die Welt – sehen Sie Schönheit zwangsläufig überall?

Ich bin ein Genießer, also mag ich Schönheit. Ich genieße fast alles, was ich im Leben tue. Für mich ist Schönheit etwas Unvergängliches, Zeitloses, etwas, das bewegt und inspiriert. Sie kann subjektiv sein, ist aber unsterblich. Ich sehe Schönheit jeden Tag, in der Kunst, in einem Buch, in einem Menschen, in einem Bild, auf Reisen. Für mich ist das die ultimative Kreativitätsnahrung.

Seit 2016 sind Sie als Kreativdirektor des italienischen Traditionshauses Molteni&C tätig. Sie gestalten die Showrooms der Marke, zuletzt auch einen neuen Pavillon im neuen Hauptquartier. Nun sind Showrooms aber normalerweise nicht gerade die Orte, die Emotionen hervorrufen.

Ich muss gestehen, dass sich der Designprozess eines Showrooms nicht von meinen anderen Projekten oder Arbeiten unterscheidet. Das Ziel und die Vision sind dieselben. Bei den Showrooms für Molteni&C habe ich aber natürlich im Hinterkopf, dass jeder Ausstellungsraum die Bühne für Produkte ist. Darüber hinaus versuche ich immer, ein heimeliges und komfortables Gefühl und einen Sinn für Häuslichkeit zu schaffen. Das ist ein Gegenmittel zu künstlichen und seelenlosen Ausstellungsräumen.

Sie haben jüngst Ihre zweite Kollektion für Zara Home vorgestellt. Im Fokus steht das Esszimmer. Der ausladende Esstisch, habe ich gesehen, steht auch bei Ihnen zu Hause.

Für mich hat der Essbereich und insbesondere der Esstisch eine vielseitigere Bedeutung. In meinen beiden Wohnungen steht der Esstisch im Wohnzimmer, wo ich ihn zum Zeitungslesen oder Kaffeetrinken benutze; ich lege Bücher oder Kunstwerke darauf ab oder arbeite an ihm. Oder er wird ganz formell eingedeckt. Das Esszimmer ist natürlich der Ort, an dem man Gäste bewirtet und sich um sie kümmert, aber auch der Ort, an dem man die Gesellschaft seiner Lieben genießt und wo die Geselligkeit im Mittelpunkt steht.

Zara Home ist vor allem preislich für viele zugänglicher als etwa Molteni&C. Mussten Sie Kompromisse eingehen, um Ihre Ideen zu verwirklichen?

Nicht wirklich, weil die Zusammenarbeit auf der globalen Reichweite Zaras beruht. Wir haben auf Handwerkskunst gesetzt, weshalb die Kollektion preislich auch höher angesiedelt ist. Die Qualität ist hervorragend. Tatsächlich ist jedes Möbelstück maßgeschneidert und wird erst auf Bestellung angefertigt. Der große Unterschied zu meiner Arbeit mit anderen Marken besteht darin, dass Zara Home in seiner Formensprache sehr rein, geradezu essentiell ist. Das spiegelt meine Art zu leben in Portugal und Antwerpen wider.

Sie haben Ihr Büro 1989 gegründet. Wenn Sie an die Anfänge denken: Gibt es etwas, das Sie gerne früher gelernt hätten?

Ich glaube, ich würde alles noch einmal so machen. Seit Beginn meiner Laufbahn, also vor über 30 Jahren, war es für mich immer das Wichtigste, die Architektur als einen Beruf zu betrachten, der dem Menschen gewidmet ist. Das bedeutet, dass sich Menschen sich an Orten, egal ob es sich um Architektur oder Innenräume handelt, geschützt und entspannt fühlen sollen. Einem jungen Vincent Van Duysen würde ich trotzdem vielleicht sagen, dass er leidenschaftlich und engagiert sein soll: Sei getrieben, lebe das Leben in vollen Zügen, folge deinen Instinkten. Und sei dankbar dafür, mit kreativem Talent gesegnet zu sein.

Der belgische Architekt Vincent Van Duysen gründete 1989 sein gleichnamiges Architekturbüro mit Sitz in Antwerpen. Die Zeitschrift »Architectural Digest« zählt ihn zu den 100 wichtigsten Gestaltern weltweit. In Antwerpen hat er das Hotel »August« entworfen, außerdem gestaltet er Möbel für Marken wie Molteni&C oder B&B Italia. Seit 2022 kooperiert Vincent Van Duysen mit Zara Home.

Text: Valerie Präkelt