Patou – Auferstehung einer Legende - séduction Magazin Germany
FASHION

Patou – Auferstehung einer Legende

Von Redaktion 14/11/2023
Credit: Damien Blottière
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Patou, in diesem Namen schwingen Mythos und Magie der französischen Couture mit. Als vor 100 Jahren die Mode die Moderne entdeckte und die Frauen aus den Zwängen und Korsetts des 19. Jahrhunderts befreite, hatte Jean Patou daran entscheidenden Anteil. Selbst nach seinem Tod und nach dem zweiten Weltkrieg blieb die Marke noch lange ein zentraler Player der Pariser Fashion. Bis sie 1987 ihre Modesparte komplett aufgab und sich auf den Vertrieb der Patou-Düfte konzentrierte. Seit einiger Zeit ist Patou aber auch als Modelabel wiedererstanden – und auf einmal klingt der Name nach Zukunft, Optimismus und einer ganz eigenen Verbindung von Nachhaltigkeit und modischer Leichtigkeit.

Mit Mitte zwanzig kam Jean Patou aus der Normandie nach Paris. 1912 eröffnete der Sohn eines Gerbers und gelernte Kürschner dort ein kleines Schneideratelier mit dem Namen „Maison Parry“. Mit stilvoll dezenten und dennoch elegant luxuriösen Kreationen hatte er bald Erfolg. 1914 zwang ihn der erste Weltkrieg sein Atelier zu schließen. Patou wurde Soldat. Erst 1919 konnte er wiedereröffnen, diesmal unter seinem Namen. Die Welt, aber auch das Leben und die Bedürfnisse und Ansprüche der Frauen hatten sich verändert. Jean Patou erkannte das als einer der ersten. Coco Chanel war in ihrem späteren Leben sehr gut darin, den Eindruck zu erwecken, dass sie die Frauen damals quasi im Alleingang modisch von den Fesseln und Beschwernissen der alten Zeit befreit und ihnen das moderne Leben ermöglicht habe. Doch so ganz stimmt das nicht. Die Korsetts waren schon bei den Couturiers Paul Poiret und Mariano Fortuny abgelegt worden. Und ohne Chanels Weitsicht und ihre modische Genialität schmälern und zu wollen, die Notwendigkeit von Veränderungen lag in der Luft und sie wurde zum Ansporn einiger prägender Modermacher und Modemacherinnen, darunter Chanel, Jeanne Lanvin und eben auch Jean Patou.

Der junge Couturier entwarf selbstverständlich auch Kleider ohne Korsett und kürzte die Rocksäume, er erfand aber auch eine Sportswear-Linie für die Stadt und für den Strand geometrisch gemusterte Badeanzüge ohne Rüschen, Einschnürungen oder Bustiers, die weibliche Körper nicht einengten und auch den Brüsten Spielraum boten. Damals galt das als sehr gewagt. Von seinen großen Konkurrentinnen Jeanne Lanvin und Gabrielle Chanel hob er sich dadurch ab, dass er das moderne Leben noch mehr umarmte als sie und vielleicht noch vorausschauender war. So machte er die Tennisspielerin Suzanne Lenglen zu seiner ersten Muse und gilt als Erfinder der Tennismode. Er entwarf rückenfreie lange Kleider zu Zeiten, in denen der Garçonne-Stil mit Kurzhaarfrisuren Trend war. Damalige Berühmtheiten wie Joséphine Baker und Stummfilmstar Louise Brooks trugen seine Kleider. Brooks war mit ihrem Pagenkopf die ideale Verkörperung des neuen Frauentyps und hatte eines der schönsten Gesichter, das je auf der Kinoleinwand zu sehen war. Sie zählt auch zu den Frauen, mit denen Patou, der als „elegantester Mann Europas“ galt, eine Affäre nachgesagt wurde.

Manche Moves von Jean Patou strahlen bis heute aus oder wirken erstaunlich gegenwärtig. Er war der erste, der sein Monogramm zum Markenzeichen machte und auf seinen Kreationen applizierte. Heute sind Monogramme allgegenwärtig. Damals ebenfalls ungewöhnlich, Patou war weder ein Zeichner noch beherrschte er das Schneiderhandwerk. Ähnlich wie ein heutiger Kreativdirektor instruierte er Designer über seine Ideen und korrigierte später die umgesetzten Entwürfe.

1936 mit nur 49 Jahren starb Jean Patou überraschend an einem Herzleiden. Zu den Designern die nach dem zweiten Weltkrieg für das Haus arbeiteten zählen Marc Bohan, der danach 30 Jahre lang den Dior-Look prägte. Sein Nachfolger wurde von 1958 bis 1963 der junge Karl Lagerfeld, der allerdings noch nicht die Genialität bei der Neuinterpretation einer Marke zeigte wie zwei Jahrzehnte später bei Chanel. Kurzzeitig hatte selbst Jean Paul Gaultier einen Assistentenjob im Haus. 1981 übernahm schließlich Christian Lacroix. Als der 1987 Patou verließ, um sich mit Unterstützung Bernard Arnaults selbstständig zu machen, war das auch das Ende der Modeproduktion der Marke.

Das Ende? Nein, eher ein langer Dornröschenschlaf, wie sich 2018 herausstellte. Und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der Prinz, der Patou wachküsste ausgerechnet jener Bernard Arnault war, der 1987 Lacroix eigenes Label finanziert hatte. Nachdem sein Luxuskonzern LVMH die Rechte am Namen und der Marke erwarb, setzte eine planvolle und durchdachte Wiederbelebung ein, die inzwischen Fahrt aufnimmt.

An der Spitze des Hauses, das von Jean Patou in Patou umbenannt wurde, stehen heute der Designer Guillaume Henry und die CEO Sophie Brocart. Es sieht so aus, als ob die beiden gemeinsam an einem Strang ziehen und ein schlüssiges Konzept für ihr Haus haben.

Der 1978 geborene Henry, der schon mit Ricardo Tisci zusammenarbeitete und von 2015 bis 2018 Kreativdirektor bei Nina Ricci war, entwirft Prêt-à-Porter-Kollektion, die von Haute Couture inspiriert, leicht, zart und fröhlich daherkommen, aber teils auch sportlich und die tragbar bleiben. Patou zu tragen und sich zu eigen zu machen soll ganz einfach sein. Und damit ist er sehr dicht am historischen Kern der Marke. „Eleganz, Schönheit, Kunst und Fantasie. Über meinen Kollektionen standen immer diese vier Begriffe“, sagte Jean Patou zwar, doch auch seine Entwürfe waren sportlich, optimistisch und auf das wirkliche Leben der Frauen seiner Zeit hin zugeschnitten.

„Pariser, Chic mit einem Touch von Fantasie, Couture und Humor,” so fasst CEO Sophie Brocart das aktuelle Patou-Konzept denn auch zusammen. „Auf lange Sicht,“ erklärte sie einem Branchendienst „kann Patou aufgrund seines einzigartigen aber tragbaren Stils und seines erstaunlichen aber wenig bekannten historischen Erbes ein großes Haus werden.“ Seit dem Neustart mit einer ersten Fashionshow 2019 hat Patou wieder eine Community von Markenfans aufgebaut. Nächste anvisierte Schritte sind ein eigener Store in Paris, internationale Expansion und eine Vergrößerung des Angebots an Accessoires.

Auch wenn Optimismus und Leichtigkeit Schlüsselbegriffe im neuen Patou-Stil sind und die Frühjahrskollektion für 2024, die im Juli in Paris vorgestellt wurde das noch einmal nachdrücklich bestätigt hat, verschließt das Label die Augen nicht vor den Realitäten. Die geht es aber ganz pragmatisch mit seinem Nachhaltigkeitskonzept an. Ein Beispiel dafür ist die Handtasche Le Patou. Gefertigt wird sie aus Restposten von bereits existierendem Leder. Die reine PETA-Lehre ist das noch nicht – Leder bleibt Leder – doch tendenziell nachhaltiger ist es schon, wenn keine Tiere mehr extra für diese Produktion getötet werden müssen. Ein Nebeneffekt ist, dass die Taschen in den verschiedenen Farbtönen dann auch nur in begrenzter und nummerierter Auflage hergestellt werden, solange der jeweilige Posten Leder reicht. Das macht die Kollektion exklusiver, bunter, fröhlicher. Und für eine Sneakers-Edition in Kooperation mit dem Sportlabel Le Coq Sportif wurde sogar schon ein Maisbasiertes veganes Leder verwendet. Der Optimismus, den das neue Patou verbreitet, er steht womöglich auf einer ganz soliden Basis.

Text: Bernd Skupin