
Der Bühnenzauberer ROBERT WILSON sucht in seinen Inszenierungen größte Freiheit und höchste Präzision. Unterstützung bekommt er dabei von überraschender Seite
Ein dramatischer Auftakt
Zu Beginn ist da nur der Wal. Eingefroren in der Bewegung, springt er auf dem riesigen gemalten Bühnenvorhang aus der düsteren und stürmischen nächtlichen See. Dazu türmt ein kleines Orchester aus E-Gitarren, Geigen und Schlaginstrumenten auch akustisch eine bedrohlich anschwellende Sturmkulisse auf. Dramatisch und statisch zugleich ist der Auftakt zu Robert Wilsons Bühnenadaption von Herman Melvilles großer Seefahrer- und Walfänger-Saga »Moby Dick«, die gerade im Düsseldorfer Schauspielhaus ihre Premiere feierte.
Wilsons Theatermagie entfaltet sich
Wenn dann der Vorhang hochgeht, entfalten sich die ganze Theatermagie und die Bühnenkunst Robert Wilsons. Zu Textfragmenten aus Melvilles Roman sowie Musik der britischen Pop-Poetin Anna Calvi inszeniert der Regisseur berückende Tableaus von fremdartiger und unheimlicher Schönheit. Mit expressionistischen Gesten und Filmprojektionen, mit Text- und Bewegungswiederholungen, exzentrischen Kostümen und drastischem Make-up, vor allem aber mit einer ebenso perfekten wie atemberaubenden Lichtregie erzeugt der gebürtige Texaner lebendige Bilder und Szenen von hypnotischer Macht – und manchmal auch von überraschender Zartheit.

Wilsons Herangehensweise
Dabei glaubt Wilson offenbar mehr an das Sehen als an das Lesen. Mit der Handlung des Buchs sollte man in Grundzügen vertraut sein, Wilson erzählt sie nur höchst fragmentarisch und mit großer Freiheit. »Zum ersten Mal wurde ich in der High School auf ›Moby Dick‹ aufmerksam. Als ich es Jahre später erneut las, war ich immer noch erleichtert über die Widersprüche im Text und die Bilder, die er hervorrief«, erinnert er sich. Und ergänzt: »Ich konzentriere mich auf eine Art Reise zur Freiheit der Reflexion. Schaffe Bilder, denen die Reflexion innewohnt.«
Präzision und Herausforderung
Robert Wilson ist seit Jahrzehnten bekannt dafür, solche belebten Bilder mit allerhöchster Präzision zu gestalten. In Düsseldorf scherzte er ein paar Tage vor der Premiere im September, das Stück werde erst zu Weihnachten wirklich fertig sein, Weihnachten 2025. Was er den Darstellern abverlangt, ist viel: zur exakten Sekunde fast millimetergenau an der richtigen Position im Licht zu stehen, auch wenn auf der Bühne viel Bewegung herrscht. Und es ist auch nicht etwa so, dass die Texte mechanisch gesprochen werden. Sie müssen präzise artikuliert und oft mit geradezu manieristischer Expressivität betont vorgetragen werden. Auch das mit exaktem Timing sowie häufig in Wiederholungen, die fast an Fugen oder gesprochene Arien erinnern.
Unerwartete Unterstützung
Unterstützt wird das Stück – und das mag überraschen – von »Dance Reflections«, der 2020 von Van Cleef & Arpels gegründeten Initiative zur Förderung unterschiedlichster Tanzprojekte und -stile. Für Serge Laurent, den Leiter der »Dance Reflections«, eine logische Verbindung: »Oft ist der Text im Theater so stark. Theaterregisseure vernachlässigen die Bewegung, bei Bob ist es eine Choreographie. Auch wenn er als Theatermann gilt, so sind in seiner Arbeit viele Dimensionen miteinander verbunden. Normalerweise sehen die Leute den Tanz, das Theater und die bildenden Künste getrennt voneinander. Was ich an dieser Arbeit mag, ist, dass sie die Grenzen zwischen den Künsten verwischt. Man weiß nicht mehr, was man da eigentlich sieht. Ist es Tanzmusik von gestern? Ist es ein Konzert? Ein Ballett? Ein Theaterstück? Ein visuelles Werk der bildenden Kunst? Das gefällt mir.«
Erfolg und Zukunft
Zur Premiere von »Moby Dick« gab es Ovationen für Wilson und das Ensemble. Bis mindestens Mitte Februar wird es in Düsseldorf weitere Aufführungen geben. Und laut Robert Wilson sollen sie von Mal zu Mal noch besser werden.
– Bernd Skupin