Jeanne Greenberg Rohatyn - Die Kunst ist ein Wunder - séduction Magazin Germany
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Jeanne Greenberg Rohatyn – Die Kunst ist ein Wunder

Von Online Redaktion 29/04/2022
Credit: PR
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Schwierig, komplex, schwer verkäuflich. All das darf Kunst sein. Meint die New Yorker Galeristin JEANNE GREENBERG ROHATYN. Nun hat sie sich mit drei anderen prominenten Kollegen zusammengetan und die GALERIE LGDR gegründet. In ihrem Hauptquartier, einem Palais gegenüber des Guggenheim-Museums, bieten sie den Megadealern in der Branche die Stirn – und zeigen großartige Kunst. Ein Gespräch über Freundschaft, Grenzüberschreitungen und den Kunstmarkt nach der Pandemie.

Sie haben Ihre Galerie vor 20 Jahren unter dem Namen „Salon 94“ gegründet und mit diesem Konzept auch andere, fremde Ideen und Ausdrucksformen in Ihre persönliche Sphäre eingeladen. Wieso diese Offenheit?

JEANNE GREENBERG ROHATYN: Ich heiße Kunst willkommen, die unzugänglich sein kann oder für die wir keine Sprache haben. Meine neuen Partner und ich haben gerade ein Werk diskutiert, das zunächst etwas kitschig erschien. Als ich erklärte, dass es vom afrikanischen Kontinent stammt, hatten alle sofort Respekt vor seiner Herkunft aus einem anderen ästhetischen System. Um eine solche Verschiebung unserer ästhetischen Normen geht es mir.

Konnten Sie Ihre Partner Dominique Lévy, Brett Gorvy und Amalia Dayan überzeugen?

Noch nicht. Aber es macht Spaß, als Verteidiger aufzutreten.

Sie alle haben sich ausdrücklich zu Ihren ausgeprägten Vorlieben und starken Egos bekannt. Zugleich vertrauen Sie auf Ihre lange Freundschaft. Ist das nicht eher ungewöhnlich im hart umkämpften Kunstgeschäft?

In dieser Branche gibt es auch viele respektvolle, freundschaftliche Beziehungen unter Konkurrenten – wir wollen alle das Beste für unsere Künstler und Kunden herausholen.


POWERFUL:
Werk von Laurie Simmons „How We See. Ajak (Green)“ von 2015. Die Stühle –
im Vordergrund Tom Sachs’ Shop Chair – wurden exklusiv für Salon94Design entworfen

Für die neue Kooperation haben Sie immerhin Ihr eigenes, namhaftes Unternehmen aufgegeben.
Covid hat uns alle zum Umdenken veranlasst. Die neue Galerie in der 89. Straße habe ich während der Pandemie zunächst ganz allein aufgebaut – und fühlte mich dabei ziemlich einsam. Ich bin in einem Alter, in dem ich mehr mit anderen teilen möchte.

Die Pandemie hat dem Galeriesektor Einbußen von 20 Prozent eingetragen. Nun wollen die Kunstmessen wieder Händler aus der ganzen Welt zusammentrommeln.

Ich bin dagegen. Sicher, eine Messe gibt der Öffentlichkeit Gelegenheit, eine Menge Kunst unter einem Dach zu sehen, und sie hilft dem Kommerz. Ich selbst war in die Organisation bahnbrechender Messen involviert. Meinen Stand habe ich immer wie eine Galerieausstellung behandelt, und ich war jeden Tag vor Ort. Aber jetzt will ich meine ganze Energie nur noch in großartige Ausstellungen stecken. Außerdem sind die Umweltauswirkungen dieser allmonatlichen Reisen unverantwortlich.

Mit 13 begleiteten Sie Ihren Vater – einen Galeristen – zur Kunstmesse in Basel. Bei seinem Freund Ernst Beyeler, dem großen Schweizer Sammler, sahen Sie einen Cézanne an der Wand, den Sie auf der Stelle kaufen wollten. Beyeler erklärte, dass Ihnen das eher als Kunsthändlerin gelingen könnte – das haben Sie sich zu Herzen genommen. Auf derselben Reise besuchten Sie auch den Isenheimer Altar von Matthias Grünewald in Nürnberg, der Ihren Vater zutiefst berührte. Wie hat Sie das geprägt?

Dass mein Vater von einem Werk aus der fernen Vergangenheit und einer fremden Religion so ergriffen war, hat mir damals die Macht der Kunst vermittelt. Jeder Künstler hat eine spirituelle oder gar religiöse Seite – selbst Andy Warhol, dessen tiefer Katholizismus sich in seinem Gemälde „The Crowd“ offenbart. Es zeigt eine Menschenmenge, die sich um den Papst – die ultimative Celebrity – schart.

In Ihrem Salon 94 haben Sie früh die Transvestiten- Portraits „Ladies and Gentlemen“ präsentiert, die Warhols Zuneigung für damals verachtete Außenseiter demonstrieren. Auch Marilyn Minter mit ihrer Sensibilität für ramponierten Glamour haben Sie ganz zu Anfang gezeigt. Woher kommt Ihre Affinität zu Positionen außerhalb gängiger Normen?

Kunst entsteht meist allein im Atelier, in eigenwilligen Gedankenwelten jenseits der Konvention – mir ist alles Grenzüberschreitende sehr nah. Im Laufe der Zeit normalisiert sich meist, was wir zuvor als subversiv empfanden, und dieser Prozess beschäftigt mich.

Sie haben jeden Aspekt Ihres Lebens einer ganz individuellen Ästhetik unterworfen. Sind Sie von Bewegungen inspiriert, die den Alltag zum Gesamtkunstwerk gestalteten – wie die Wiener Werkstätte oder das Bauhaus?

Ich bin in der Ära des Minimalismus aufgewachsen. Er beruhte auf der totalen Hingabe an eine rigoros spartanische Formensprache – von der Kleidung über die Möbel bis zur Kunst. Deshalb ist die Beachtung eines jeden Details für mich essenziell.

Die Objekte in Ihrer Welt sind nicht nur elegant: Sie besitzen meist auch Charme, Witz oder Exzentrik. Ihre Kleidung besteht oft aus lebhaften Kompositionen unterschiedlicher Muster – Ihre Lust an der Vielfalt scheint über die Oberfläche hinauszugehen.

Ich habe sehr viel Respekt für strenge Systeme wie den Minimalismus, aber er gehört zu einer anderen Generation, und ich lebe ganz ausdrücklich im Jetzt.

Sie haben schon immer Werke von schwarzen Künstlern und Minderheiten ausgestellt, lange vor den aktuellen Forderungen nach Vielfalt in Galerien und Museen.

Die Geschichte wird ständig in verschiedenen Stimmen neu erzählt. Ich betrachte diese Erzählungen nicht als Neuinterpretationen, sondern als Aufdeckung von Tatsachen, die ich auch mit meinen Künstlern vermitteln will. Es kümmert mich nicht, ob das nun angesagt ist oder nicht.

Das erste Kunstwerk, das Sie gekauft haben, war ein „Rock Head“ des Afroamerikaners David Hammons. Diese gesichtslosen Steinköpfe mit Haar aus den Friseursalons in Harlem haben die Aura von Totems. Hammons war auch einer der ersten Künstler in Ihrem Programm, und Sie wollen jedem Ihrer Sammler einen seiner wie Kronleuchter mit Kristall behangenen Basketball-Reifen verkaufen.

Das versuche ich immer noch.


SPUR EINES MYTHOS: Barbara Chase-Riboud schuf die Skulptur „Malcolm X #12“ 2007 aus polierter Bronze und Seide

David Hammons Werke sind doch jetzt in so vielen Museen. Macht es das nicht leichter?
Es ist nie einfach, wahre, authentische, erstaunliche Kunst zu verkaufen. Und das sollte es auch nicht sein: Diese Kunst ist kompliziert – ich betrachte sie als eine Art Wunder. Davids Kunst berührt mich konzeptionell und spirituell, denn sie richtet sich auch an das dritte Auge.

Sie vertreten auch Künstler, deren Medium traditionell als Kunsthandwerk angesehen wird, wie die Keramik.

In der 89. Straße zeigen wir gerade Shawanda Corbett, eine preisgekrönte Performance- und Keramikkünstlerin aus Mississippi, die ohne Beine und mit nur einem Arm geboren wurde. Shawanda betrachtet die Töpferscheibe als Erweiterung ihres Körpers und sich damit als Mischwesen zwischen Mensch und Maschine. Mich interessiert die Energie im Dialog zwischen Keramik und anderen Medien jenseits der konventionellen Hierarchie.

Sie haben einmal verraten, Sie hätten so gern Picassos „Demoiselles d’Avignon“ bei sich zu Hause. Warum gerade dieses monumentale, herausfordernde Gemälde?

Oh mein Gott, ich möchte nichts mehr, als jeden Tag mit diesen Frauen konfrontiert zu werden! Dann wäre ich noch vehementer – ohne jeden Zweifel!