Künstliche Intelligenz in der Duftherstellung: Interview mit Marc vom Ende - séduction Magazin Germany
Werbung
NEWS

Künstliche Intelligenz in der Duftherstellung: Interview mit Marc vom Ende

Von Pia Scheiblhuber 17/08/2020
Credit: Stocksy

Künstliche Intelligenz kommt in immer mehr Lebensbereichen zum Einsatz – nun sogar in der Duftherstellung. Wie die Parfumkreation mit der KI-Software Philyra funktioniert und welche Chancen sie bereithält, erklärt Parfumeur Marc vom Ende.

G

Griechische Mythen haben ein schier unerschöpfliches Inspirationspotenial. So auch die von Tragik und Pathos geprägte Geschichte der Titanentochter Philyra: Sie verwandelte sich aus Scham und Enttäuschung über die Geburt ihres Zentauren-Sohns in einen wohlriechenden Lindenbaum. Eine Verwandlungsgeschichte mit duftendem Ende, ein olfaktorisches Statement zur Überwindung der Hoffnungslosigkeit.

Nun avanciert sie zum Sinnbild einer Hoffnungsträgerin: In der Parfumindustrie ist eine künstliche Intelligenz (KI) nach ihr benannt. Die vom deutschen Duft- und Aromahersteller Symrise und dem amerikanischen IT-Unternehmen IBM in den letzten Jahren entwickelte Software Philyra revolutioniert die Duftherstellung. Symrise Senior Perfumer Marc vom Ende, der seit 1988 für den Dufthersteller in Holzminden tätig ist, erklärt im séduction-Interview, wie die Parfumkreation mithilfe der KI funktioniert, welche Chancen sie bietet – und wie es das System schafft, selbst erfahrene Parfumeure hin und wieder zu verblüffen.

Herr vom Ende, die Duftherstellung ist eine Kunst für sich, hinter der Parfumeure als entscheidende kreative Köpfe stecken. Wie ist nun Duftkreation mithilfe von künstlicher Intelligenz möglich?

Dank einer enormen Datenbank aus Duftnoten und -familien. Darauf hat die Software Philyra Zugriff, ebenso wie auf den gesamten Formelschatz von Symrise. Das sind tausende Rezepturen, die in unterschiedlichen Bereichen – von Fine Fragrances bis Consumer Fragrances – eingesetzt werden. Wenn man dem System nun bestimmte Vorgaben für einen neu zu kreierenden Duft gibt, kann es all diese Formeln nach passenden Mustern scannen und daraus bestimmte Vorschläge machen.

Welche Parameter müssen Sie der Software vorgeben?

Wichtig ist, den Markt einzugrenzen, für den der Duft kreiert werden soll. Dabei stehen sowohl kulturelle Parameter als auch Angaben zur Zielgruppe und deren Altersstruktur im Mittelpunkt. Aus diesen Angaben ergeben sich bereits bestimmte relevante Duftthemen, die Philyra herausfiltern und unterschiedlich kombinieren kann – wie ein Parfumeur, nur dass Philyra in kürzester Zeit Lücken in der bestehenden Themenkette erkennen und ganz neue Kreationen vorschlagen kann.

Hat der Einsatz von künstlicher Intelligenz also entscheidende Vorteile gegenüber der traditionellen Duftherstellung?

Natürlich! Parfumeure arbeiten ja immer auf der Basis der eigenen Erfahrung und machen ihre Arbeit immer in einer bestimmten Art. Jeder Parufmeur hat seinen eigenen Stil, Düfte zu entwickeln. Das ist wie in anderen Künsten: Ein Picasso malt beispielsweise einen Apfel auf ganz andere Weise als ein Monet. Der große Vorteil der KI liegt nun darin, dass man auf Vorschläge stößt, auf die man sonst nicht gekommen wäre.

Und die Zeitersparnis?

Die ist auch nicht zu unterschätzen. Philyra macht mir in jeder Runde innerhalb von Sekunden zwölf Vorschläge. Normalerweise muss jeder Versuch physisch gemischt werden, damit man den Duft riechen und beurteilen kann. Diesen aufwendigen Schritt kann man sich mit Philyra sparen. Diese Zeitersparnis gibt uns Parfumeuren die Möglichkeit, den Kopf frei zu behalten, um über die vorgeschlagenen Duftkreationen nachzudenken und diese in die richtigen Bahnen zu lenken.

Welche Rolle nimmt der Parfumeur letztendlich ein?

Ich kann natürlich nicht das System alleine laufen lassen. Damit ein gutes Ergebnis herauskommt, braucht es einen Experten, der die Rezeptur versteht, besonders interessante Komponenten erkennt und daran weiterarbeitet. Als Parfumeur muss ich aus den Vorschlägen die interessanteste auswählen und mischen. Es ist also nicht so, dass diese KI den Parfumeur ersetzt, sondern ihn unterstützt. Letztendlich übernimmt der Parfumeur die Aufgabe der professionellen Steuerung und Überprüfung des Systems.

Und doch auch jenen Part, der sicherstellt, dass der Duft emotionaler wird. Düfte schaffen eine emotional aufgeladene Atmosphäre. Diese Komponente kann KI ja kaum in die Dufterstellung hineinbringen…

Ja, die menschliche Lenkung ist für den emotionalen Charakter ganz entscheidend. Beim Riechen habe ich als Parfumeur oft Assoziationen, von denen ich mich inspirieren lasse. Ich habe im Gefühl, welcher Duft zum Beispiel für den mediterranen Raum passt und wieviel Frische ein Duft für den nördlicheren Markt verträgt. Da kommt es auf Feinheiten an. Aber wir befinden uns gerade in einem Prozess, der stetig zu Verbesserungen führen. Es kann durchaus sein, dass in ein paar Jahren das System tatsächlich sehr gute Vorschläge macht und noch gezielter arbeitet.

Man könnte sich also durchaus vorstellen, dass die Software einmal die komplette Arbeit eines Parfumeurs übernehmen könnte?

Die komplette Arbeit glaube ich nicht. Aber vielleicht einen Großteil. Das technische Entwicklungspotential ist ja enorm, das wurde bereits in anderen Bereichen bewiesen: Ich erinnere mich an die Zeit, als ein Schachweltmeister sagte, er würde niemals von einem Computersystem geschlagen werden. Und zwei, drei Jahre später war es so weit: Er hat gegen den Schachcomputer verloren. Im Bereich der technischen Entwicklungen ist schon viel Überraschendes passiert. Man darf aber nicht vergessen, dass Düfte eine große emotionale Komponente haben. Da geht es um feine Nuancen, die in naher Zukunft kaum komplett von einem Computer erfasst werden können. Bestimmte Parameter müssen einfach vom Parfumeur vorgegeben werden.

Wird durch die Vielzahl der Parameter, die Sie dem System vorgeben, nicht dessen kreativer Spielraum stark eingeschränkt?

Nein, denn ich habe in dem Programm einen Schalter, wo ich das Kreativitätslevel einstellen kann, von 1 bis 10. 1 heißt wenig Kreativität, da bleibt Philyra sehr nah an dem Bereich, der vorgegeben ist. Bei 10 macht das System auch so abgefahrene Sachen, die interessanter sind, wirklich crazy teilweise. Da denkt man: „Mensch, das hätte ich so nie ausprobiert. Aber warum nicht, kann man mal machen.“

Was waren bisher Philyras verrückteste Vorschläge?

Einmal hat sie eine Nerolinote stark überdosiert. Neroli ist Orangenblütenöl, das man normalerweise dezent einsetzt. Da wurde ich neugierig und habe den Duft genau so mischen lassen und war überrascht: Es kam ein sehr interessanter Duft heraus. Bei der Entstehung des ersten KI-Duftes, der nicht in meiner Zuständigkeit lag, hat Philyra eine Kondensmilchnote in den Duft hineingebracht. Das ist eine Sache, die ich so noch nie zuvor gesehen hatte. Selbst als erfahrender Parfumeur wird man von der KI-Software immer wieder überrascht.

Marc vom Ende; Credit: PR