
Im Interview mit séduction spricht der französische Parfumverleger Frédéric Malle über die von orientalischen Duftwelten inspirierte „Desert Gems“-Parfum-Kollektion.
Hinter jeder Duftkomposition steckt eine komplexe Idee, hinter jeder Idee eine lang gehegte Faszination. Die „Desert Gems“ von Parfum Publisher Frédéric Malle sind ein außerordentliches Beispiel für eine emotional aufgeladene und von orientalischen Duftwelten inspirierte Parfum-Kollektion.
séduction hat mit dem französischen Parfumverleger über die olfaktorischen „Juwelen der Wüste“ gesprochen. Ein Interview über die Botschaft der Duft-Kollektion, die kostbare Ingredienz Oud und diese besondere Handschrift, die diese Kollektion auszeichnet.
Die vier Parfums der „Desert Gems“-Kollektion scheinen mit ihren Titeln eine klare Botschaft zu vermitteln: „The Night“ (2014), „Promise“ (2017), „Dawn“ (2018) und „The Moon“ (2019). Was versinnbildlichen diese Parfums?
„The Night“ von Dominique Ropion war in meiner Karriere als Parfumverleger die erste Liebeserklärung an den Nahen Osten. Es soll pure Verführung verkörpern und die Magie dieser Orte einfangen. Eine Magie, die vor allem in der Nacht spürbar ist, denn das Leben spielt sich dort nach Sonnenuntergang ab. Was besonders interessant ist: Das arabische Wort für „Nacht“ bedeutet sowohl Sternbild als auch Liebe. “Promise“, ebenfalls von Dominique Ropion, ist ein Absolu, das ein wahres Versprechen versinnbildlichen soll. „Dawn“ wurde von Carlos Benaïm kreiert und hat fast schon biblischen Charakter. Der Name bezieht sich auf den Moment kurz vor Sonnenaufgang, der vom Morgengebet geprägt ist. Es soll eine Atmosphäre des Nachdenkens, der Reflexion und Meditation versinnbildlichen. „The Moon“ von Julien Rasquinet ist die neueste „Desert Gems“-Kreation. Der Mond hat in der arabischen Welt eine enorme Bedeutung. Wenn man seine Liebe erklärt, sagt man „Du bist mein Mond“. Der fruchtige Duft mit starken Beerennoten ist vom Aroma der typischen Wasserpfeifen inspiriert ist, die oft sehr fruchtig riechen.

Woher kommt diese Faszination für die orientalische Duftwelt?
Als ich ein Kind war, wohnte mein Vater im achten Arrondissement in Paris, einem Viertel, in dem viele Menschen aus orientalischen Ländern leben. Ich war von Anfang an sehr beeindruckt von ihren intensiven, außergewöhnlichen Düften. Als ich angefangen hatte, mich professionell mit Düften auseinanderzusetzen, bemerkte ich, wie unglaublich sinnlich und kraftvoll die orientalischen Parfums sind und sich dadurch stark von typischen französischen Düften unterscheiden.
Wie entstand die Idee zu den Juwelen der Wüste?
Während eines Gesprächs mit Parfumeur Dominique Ropion. Wir sprachen über unsere Faszination für die arabischen Düfte und beschlossen, diese spezifischen, olfaktorischen Facetten besser kennenzulernen. Wir waren sogar in Dubai, um mit den lokalen Düften dort vertraut zu werden. Wir haben alle Düfte genau analysiert, wie sie wirken und wie man sie abändern und beispielsweise weicher machen könnte. Man könnte fast sagen, wir verhielten uns wie Köche, die Rezepte einer anderen Kultur schätzen und versuchen, sie auf ihre ganz eigene Weise zu interpretieren.
Ein wichtiger Bestandteil dieser „Rezepte“ ist Oud, ein Rohstoff, der sich teils in sehr hoher Konzentration in den Parfums dieser Kollektion befindet. Was macht diese Ingredienz so interessant für die Parfumkreation?
Oud ist ein sehr facettenreicher Rohstoff und lässt sich sowohl mit holzigen und animalischen als auch floralen Noten kombinieren. Es kann aber im ersten Moment fast als viel zu intensiv und fast schon grauenvoll wahrgenommen werden, da es einen sehr animalischen, dunklen Geruch hat. Je mehr man daran riecht, desto mehr erkennt man jedoch sehr interessante Facetten.
Diese Eigenschaften bringen Schwierigkeiten mit sich?
Die Kunst liegt darin, Oud sinnvoll mit anderen Rohstoffen zu kombinieren. Das muss man sich vorstellen wie einen Baum mit vielen Ästen, wobei jeder Ast wiederum einen anderen Ast braucht, um funktionieren zu können. Es ist daher eine komplexe Angelegenheit, gewisse Eigenschaften von Oud zu verstecken und andere hervorzuheben. Eine weitere Sache erschwert den Einsatz von Oud: Es ist sehr teuer. Ich gebe aber den Parfumeuren die Freiheit, Oud auch in hohen Konzentrationen einzusetzen.

Die Parfums der „Desert Gems“-Kollektion sind gute Beispiele dafür, vor allem „The Night“ mit einer außergewöhnlich hohen Konzentration an Oud. In „Promise“ wurde jedoch kein Oud verwendet. Wieso?
Für „Promise“ wollten wir einen Duft kreieren, der von Rose und Amber dominiert wird. Oud war in diesem Kontext nicht nötig. Dennoch wird dieses Parfum oft zur Kategorie Oud gezählt. Das liegt daran, dass Oud einerseits ein Rohstoff ist, andererseits aber auch immer öfter als Parfum-Kategorie verstanden wird. Im Grunde handelt es sich dabei um eine Marketing-Masche: Orientalische Düfte werden oft als Oud-Düfte verkauft, auch wenn sich kein Oud darin befindet. Das kann für Verwirrung sorgen.
Welche anderen Ingredienzen sind wichtig für ein orientalisches Parfum?
Ein Yin und Yang-Prinzip bestimmt die Parfumherstellung im Nahen Osten. Auf der einen Seite befindet sich Oud, das traditionell von den Frauen getragen wird, auf der anderen Rose, das generell den Männern zugeschrieben wird. Aber auch Sandelholz und Patchouli sind wichtige Ingredienzen. Ich sehe hier eine starke Liaison zwischen der westlichen und der orientalischen Parfum-Kunst. Der Unterschied liegt jedoch in der in der Regel viel höheren Konzentration der Stoffe in den orientalischen Düften. Das hat einen einfachen Grund: Damit der Duft selbst in einer sehr heißen Umgebung lange hält, muss er sehr intensiv und kraftvoll sein.
Mittlerweile gibt es viele intensive, orientalische Düfte auf dem Markt. Was war das Geheimnis, dass die „Desert Gems“-Kollektion dennoch mit neuen, olfaktorischen Erlebnissen überraschen konnte?
Ich habe versucht, wahre Meister-Parfumeure aus ihrer Routine zu bringen und sie mit einer Duft-Sprache experimentieren zu lassen, an die sie nicht gewöhnt sind. Diese Parfums entstanden aus dem Zusammenspiel zwischen der Expertise der besten Parfumeure des Okzidents und der Einzigartigkeit der anspruchsvollen Parfumtradition des Orients. Dadurch wurde jedes Parfum zu einer Komposition mit klarer, ausdrucksstarker Handschrift – ein wichtiges Kriterium für mich, um ein Parfum zu verlegen.