Die Uhrenmanufaktur AUDEMARS PIGUET ist seit Jahren auf Rekordkurs. Den hatte sie vor allem ihrem bisherigen Chef François-Henry Bennahmias zu verdanken, der die Branche gehörig durcheinanderwirbelte. Nun macht er den Weg frei für ILARIA RESTA – die erste Frau an der Spitze des Traditionsherstellers.
Das Jahr 2024 hatte noch nicht begonnen, da stand schon fest, wer als neue Grande Dame der Uhrenwelt das neue Jahr bestimmen wird: Ilaria Resta. Sie leitet von Januar an eine der bedeutendsten Manufakturen der Welt – Audemars Piguet aus dem schweizerischen Le Brassus. Das ist gleich doppelt ungewöhnlich. Denn zum einen besetzen Frauen in der Uhrenbranche extrem selten Führungsrollen, zum anderen ist das Traditionsunternehmen seit 148 Jahren noch immer fest in der Hand der Gründerfamilien Audemars und Piguet.
Mittlerweile sind unabhängige Familienfirmen eine große Ausnahme – weniger als zehn spielen in der weltweiten Top-Liga mit, darunter Patek Philippe, Chopard und Richard Mille.
Dass eine Frau an die CEO-Stelle Audemars Piguets rückt, liegt ebenfalls an einer souveränen Grande Dame. Jasmine Audemars, die Urenkelin des Mitbegründers Jules-Louis Audemars und Präsidentin des Verwaltungsrats, wurde in der Branche drei Jahrzehnte lang hoch verehrt, ehe sie 2022 mit 80 Jahren in Rente ging.
Da Jasmine Audemars keine Nachfahren hat, ist ansonsten nur noch der Familienzweig Piguet im Gremium vertreten. Auch das ist erstmalig in der Firmengeschichte. Doch Jasmine, die schon immer geschickt und willensstark agierte, ohne zu poltern, setzte laut Insidern durch, dass eine Frau die Manufaktur leitet.
Ilaria Resta wird auch die repräsentative Rolle von Jasmine Audemars zu füllen haben. Keine leichte Aufgabe für die schweizerisch-italienische Doppelbürgerin, die Marketing und Volkswirtschaft in Neapel studierte. Sie kommt nicht aus der Uhrenindustrie, sondern hatte über 20 Jahre leitende Managerpositionen bei Procter & Gamble inne. Zuletzt war sie Präsidentin der Parfümerie beim Dufthersteller Firmenich in Genf. Erfahrung und Geschick bringt die Top-Managerin zweifelsohne mit, doch die konservative Uhrenwelt hat ihre eigenen Regeln.
Erst recht Audemars Piguet als unabhängiges Familienunternehmen, das äußerst ausgewählte Luxusprodukte für die Hautevolee anbietet. Die Kundschaft ist überwiegend männlich und stark trendgetrieben, die Produkte sind, wie bei High-End-Gütern üblich, emotional stark aufgeladen. Die Manufaktur verkauft ihre Uhren nur über eigene Salons, und nur nach Terminvereinbarung. Um sich an diese Welt heranzutasten, ist Resta schon seit August bei Audemars Piguet an Bord, auch wenn ihre Amtszeit erst 2024 beginnt.
Die wohl größte Herausforderung für die neue Chefin werden die großen Fußstapfen ihres Vorgängers sein. Unter dem bisherigen CEO François-Henry Bennahmias wandelte sich Audemars Piguet von einer Insidermarke zur viertgrößten Luxusuhrenmarke der Welt. Nur Rolex, Cartier und Omega sind umsatzstärker. Gut 50 000 Modelle fertigt Audemars Piguet jährlich, Durchschnittspreis knapp 52 000 Euro. Dieses Jahr wächst die Manufaktur sogar zweistellig, deutlich stärker als die meisten Mitbewerber, und erzielt einen Rekordumsatz von voraussichtlich rund 2,4 Milliarden Euro.
Als Bennahmias 2012 das Ruder übernahm, waren es nur rund 500 Millionen Euro Umsatz und 30 000 Uhren. Man hatte sich mit Prestigeprojekten verzettelt, die nur wahre Nerds kapierten, hatte Kollektionen aufgelegt, die zu wenig den Geschmack des Zeitgeists trafen. Nur die Ikone des Hauses, das achteckige Retromodell »Royal Oak« aus Edelstahl im sportiven Look der 1970er Jahre und quasi ihr großer Bruder, die »Royal Oak Offshore« in martialischen XL-Formaten, war gefragt. Die Firmenleitung holte ihren USA-Chef François-Henry Bennahmias in die Schweiz und adelte ihn zum CEO.
Der gebürtige Franzose machte nie einen Hehl daraus, Schulabbrecher zu sein. Kokettierte gern damit, sich kaum für Uhren zu interessieren. Er war eigentlich Profigolfer, ein großer Fan von Meister Yoda und des Boxsports. Sein bisweilen impulsives Temperament ist berüchtigt, ebenso sein Naturtalent für das Aufspüren von Trends, sein Ehrgeiz und Pragmatismus. Vor allem liebt er es, mit Konventionen zu brechen. Auch optisch: Lederblouson statt Jacket, Rot oder Lila statt Dunkelblau, Sneaker statt Budapester. Das war sein persönlicher Stil. Er liebte die Rolle, irgendwo zwischen Branchenrebell und trotzigem Kind.
Deutlich zeigte sich das auch bei seinen strategischen Entscheidungen. Bennahmias spannte als Erster in der noblen Uhrenwelt einen Rapper für seine Marke ein – schon 2005, lange bevor Kooperationen zwischen der jungen Szene und Luxusuhren Standard wurden, bandelte Jay-Z mit Audemars Piguet an. Inzwischen tragen Rihanna und Ed Sheeran, aber auch der Basketballstar LeBron James und die Tennisspielerin Serena Williams ihre APs, wie sie Insider nennen, gern zur Schau.
Anfangs räumte der umtriebige CEO das Portfolio auf, konzentrierte sich auf »Royal Oak«-Editionen, entwickelte aber auch extravagante Sondermodelle mit Wow-Effekt, wie die »Tourbillon Spider-Man« oder für Damen die »Diamond Punk« – Kostenpunkt über eine Million Euro. Er schreckte auch nicht davor zurück, als einer der Ersten Luxusuhren in schrillen Neonfarben oder in Camouflage-Look für Damen und Herren zu lancieren – die stets sofort ausverkauft waren.
2018 entschied er, keine Händler mehr zu beliefern, sondern den Verkauf nur noch über eigene Audemars-Piguet-Salons abzuwickeln. Er sagte alle Messeauftritte ab und setzte schon früh auf den Wiederverkauf von Pre-Owned-Modellen. Freunde hat er sich damit nicht immer gemacht. Viele schüttelten über Bennahmias den Kopf. »Enfant terrible« war noch die charmanteste Bezeichnung, mit der er betitelt wurde.
Doch der Erfolg gab dem 58-Jährigen recht. In elf Jahren hat er den Umsatz fast verfünffacht, die Mitarbeiterzahl auf 2700 mehr als verdoppelt und die Produktion um gut 50 Prozent gesteigert. Auch abseits der glänzenden Zahlen hat er die Marke wieder sexy gemacht. Die größten Märkte sind die USA und Japan, danach folgen die Schweiz und andere europäische Länder. AP-Modelle kommen gerade bei Youngstern gut an, die als launische Kunden gelten.
Nur einmal, wie der erfolgsverwöhnte CEO einräumt, lag er mit seiner Einschätzung daneben – und zeigt, wie zickig die jüngere Klientel reagieren kann: 2019 stellte Audemars Piguet mit der »Code 11:59« eine komplett neue Kollektion vor und fiel dafür in den sozialen Medien durch. Auch der Großteil der Fachpresse und viele langjährige Liebhaber waren von der Linie enttäuscht. Inzwischen haben sich die Gemüter wieder beruhigt, und die »Code 11:59«-Kollektion trägt fast 15 Prozent zum Umsatz bei.
Einige Weichen hat François-Henry Bennahmias schon für die Zeit nach seinem Weggang gestellt. Seine Nachfolgerin Ilaria Resta wird in etwa zwei Jahren eine weitere Fabrik in Meyrin nahe Genf eröffnen können. Audemars Piguet will damit die Kapazität auf 60 000 Uhren jährlich steigern. Bekannt ist ebenfalls, dass auch die Preise jährlich um zwei bis drei Prozent steigen sollen. Naheliegend wäre, dass Resta das Damensegment von Audemars Piguet ausbauen wird. Vielleicht wird sie sogar die Kollektion mit den verrücktesten Juwelenuhren der Branche wiederbeleben.