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Uhren & Schmuck

Meisterwerke en miniature

Von Redaktion 06/06/2024
MARQUETERIE : Statt Holz nutzt Cartier Blütenblätter und lässt sie zu Papageienfedern werden. Credit: Cartier
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Seltene Handwerkskünste sind nicht nur die Seele von Luxusprodukten, sondern auch die beste Alternative zu handelsüblichen Designs. Nirgends zeigt sich das so deutlich wie auf den Zifferblätter höchster Güte: In den »Métiers d’Art«-Werkstätten der besten Uhrenmanufakturen werden feinste Unikate gefertigt, deren Zifferblätter an Kunstfertigkeit nicht zu überbieten sind.

Anita Porchet wirkt wie eine zerbrechliche Elfe. Hände wie eine Pianistin, hellwache Augen, die braun gelockten Haare zu einem Zopf gebunden. Die Schweizer Emailleurin ist eine Koryphäe. Sie ist die weltweit einzige Person, die gleich fünf seltene Techniken der Veredelungskunst beherrscht: das Grand Feu, Cloisonnés, Champlevés und Paillonnés sowie die Miniaturmalerei. Was Porchet in ihrem Atelier kreiert, kostet sechsstellig. Mindestens.

Anita Porchet veredelt Zifferblätter zu Kunstobjekten, ist ausschließlich für die besten Manufakturen wie Vacheron Constantin, Patek Philippe, Ulysse Nardin und Parmigiani tätig, für Häuser wie Chanel, Hermès, Piaget oder Audemars Piguet. Dabei überlässt die 63-Jährige nichts dem Zufall. Sie fertigt all ihre Farben selbst, zerstößt dafür in einem Mörser farbiges Glaspulver und mischt es zu einer Paste – auf ihrem Fingernagel, denn die benötigte Dosis ist homöopathisch.

Mit spitzen Pinseln – manche nur aus einem einzigen Marderhaar – überträgt sie die Paste in zarten Schichten (weniger als einen halben Millimeter!) auf ultradünne Metallscheiben. Danach brennt sie die Objekte bei rund 850 Grad im Ofen, bis die Paste zu einem flachen Glasgemälde aushärtet. Wobei es paradoxerweise das Abkühlen ist, das Porchet auch nach 40 Jahren im Geschäft noch den Schweiß auf die Stirn treibt. Denn sie muss die Ofentemperatur gleichmäßig reduzieren. Öffnet sie den Ofen zu früh oder entsteht Zugluft, zerbricht die Emaille, bekommt Bläschen oder Risse oder die Platine verzieht sich.

Da ist es nicht gerade förderlich, dass der Vorgang bis zu 40-mal wiederholt werden muss – je nach Komplexität der verwendeten Technik. Nach dem letzten Brennen wird das Zifferblatt bei lauwarmer Temperatur flach gepresst und poliert, auch dabei kann die Emaille wieder zerbrechen. Besonders hoch ist das Risiko im letzten Schritt, wo das Zifferblatt bedruckt oder für die Montage von Indizes oder Edelsteinen durchbohrt werden muss. Kaum verwunderlich, dass der Ausschuss bei gut 50 Prozent liegt und die Herstellung eines einzigen Zifferblatts ein Vierteljahr oder länger dauern kann.

Grundlage für Emaille ist immer ein Metallplättchen. Wird nur ein Farbton verwendet, um einen flächigen Gesamteindruck zu erzielen, wird von Grand Feu gesprochen. Soll es ein Motiv sein, wird dieses zunächst mit Flachdrähten auf die Platine geschweißt. Die dabei entstehenden Felder werden anschließend einzeln mit farbiger Paste gefüllt und gebrannt. So entsteht die sogenannte Cloisonnés-Emaille. Ähnlich funktioniert die Champlevé-Technik, bei der das Motiv oder Muster in die Platine eingraviert wird und die unterschiedlich tiefen Flächen die Farbfelder bestimmen. Von Paillonnés-Emaille ist die Rede, wenn winzige Formen aus Blattgold auf der Emaille verteilt und anschließend mit einer zusätzlich aufgetragenen durchsichtigen Schicht fixiert werden.

Am aufwendigsten ist die Miniaturmalerei. Sie ist die seltenste und schwierigste der Emaille-Disziplinen. Die Pinselstriche sind so fein, dass sie unter einem Mikroskop durchgeführt werden müssen. Die Farben basieren nicht auf Wasser, sondern auf Öl. Durch verschiedene Techniken des Trocknens und Brennens lassen sich auf diese Weise besonders filigrane, mehrfarbige Motive mit außergewöhnlicher plastischer Tiefe fertigen. Anita Porchet nutzte die Technik etwa für Vacheron Constantin, um das Deckengemälde von Marc Chagall in der Pariser Oper – im Original 220 Quadratmetergroß – auf Zifferblätter von nur 37 Millimeter Durchmesser aufzubringen. Meisterwerke wie dieses bettet die Manufaktur dann in Rotgoldgehäuse, die gern auch mal mit dem weltweit flachsten Handaufzugswerk ausgestattet werden, das ebenso komplett handgefertigt wird.

Die seit 1755 ununterbrochen tätige Uhrenmanufaktur ist nicht nur die älteste der Welt, Vacheron Constantin gilt in der Branche auch als Innovationsschmiede. Schon 2004 begann das Unternehmen damit, seine begehrten »Métiers d’Art«-Kollektionen aufzulegen, die seltene Handwerkskünste ans Handgelenk bringen. In den Genfer Ateliers kommen zum Guillochieren, Gravieren und Edelsteinfassen teils Werkbänke und Werkzeuge zum Einsatz, die älter als 100 Jahre sind. Nicht etwa, weil die Manufaktur der Vergangenheit nachhängt, sondern weil viele Werkzeuge nicht mehr hergestellt werden oder neuere Modelle die hohen Anforderungen des Hauses an Präzision nicht erfüllen. Auch auf traditionelle Kunststile anderer Kulturen greift die Manufaktur zurück. So fertigte der Großmeister einer der bedeutendsten traditionellen Lackmanufakturen Japans tiefschwarze Zifferblätter mit Urushi-Lack und goldener Makie-Dekoration für das Unternehmen. Das komplexe Verfahren erfordert über 200 Arbeitsschritte von der Lackherstellung bis zum fertigen Werk.

Eng verbunden fühlt sich die Emailleurin Porchet auch Patek Philippe, deren Besitzerfamilie sie in ihrer beruflichen Entwicklung tatkräftig unterstützt hat. Als junge Emailleurin traf sie Philippe Stern, den damaligen Präsidenten der Manufaktur. Der Grandseigneur der Uhrenwelt erkannte ihr Talent und unterstützte sie finanziell, damit sie sich ein kleines, unabhängiges Atelier einrichten und Lehrlinge ausbilden konnte. Für beide ein Risiko, das schließlich von Erfolg gekrönt wurde

Wie keine zweite versteht es die Genfer Manufaktur, Spezial-Techniken und Handwerkskünste zu kombinieren, bis in Hunderten Arbeitsschritten und teils über sechs Monate die aufwendigsten Zifferblätter entstehen. Auf einigen finden sich sogar sechs verschiedene Métier-d’Arts-Disziplinen: gravierte Figuren, der Hintergrund erst guillochiert, dann emailliert, daneben eingearbeitete Goldfäden und Paillonné, verfeinert mit einer Miniaturmalerei und eingesetzten Brillanten. Mehr noch: Patek Philippe zauberte 2008 als Erstes Holzintarsien auf ein Zifferblatt, in Form von Kronenkranichen.

Keine Maschine, keine künstliche Intelligenz vermag zu schaffen, was die Meister seltener Künste auf münzgroßen Zifferblättern entstehen lassen.

Bei Cartier in Paris ist man ähnlich umtriebig. Um das Gesicht eines Panthers plastisch auf ein Zifferblatt aufzutragen, kommen durch ein Verfahren namens »Granulation« mindestens 4000 winzige Goldperlen in zehn verschiedenen Größen zum Einsatz. Jedes wird exakt austariert und auf eine Goldscheibe geschweißt. Eine Goldschmiedemeisterin arbeitet etwa drei Monate an solch einem Werk – das genaue Verfahren ist ein gut gehütetes Betriebsgeheimnis. Denn obwohl schon die Etrusker die Technik kannten, forschten die Spezialisten bei Cartier zwei Jahre, um sie zu perfektionieren. Selbst Spezialisten des Louvre konsultierte das Unternehmen.

Das Problem: Die Kügelchen schmelzen, sobald sie zu heiß werden. Beim Anschweißen ist Vorsicht deshalb oberste Prämisse. Im eigens eingerichteten Meisteratelier für Zifferblattveredelung entstehen außerdem hauchfeine Mosaike aus Jaspis und Onyx, Strohintarsien sowie bunte Kreationen aus konservierten Blütenblättern und bunten Federn. Perfektioniert wird auch die schonmehr als 4000 Jahre alte Filigrantechnik, bei der zarte Fäden aus Gold und Platin (gerade mal 0,1 Millimeter stark) zu Formen und feinster Spitze geflochten werden.

Doch nicht nur im Genfer Umland, dem Weltzentrum mechanischer Zeitmesserproduktion, werden Uhren künstlerisch verziert. Auch in Sachsen, genau genommen bei Glashütte Original. Schon zu ihrer Wiedergeburt 1994 begann die traditionsreiche Manufaktur zusammen mit der berühmten Porzellanmanufaktur Meissen, filigrane Zifferblätter zu kreieren. Meissner Staffagemaler, die in der Welt des weißen Goldes wie Halbgötter verehrt werden, zaubern porzellantypische Blumendekore oder asiatische Motive unter die Zeiger. Die streng limitierten Editionen sind so begehrt, dass sie bei Auktionshäusern wie Christie’s nicht selten das Doppelte ihres Schätzwerts erzielen.

Als einer von nur wenigen Uhrenherstellern hat das Unternehmen seine eigene Zifferblattmanufaktur. Hier werden in aufwendiger Handarbeit sogar die Rohlinge selbst gefertigt und anschließend dekoriert: im Sonnen- und Rundschliff, aber auch galvanisiert oder lackiert. Als am heikelsten gelten Zifferblätter aus Perlmutt. Bei Glashütte Original werden sie immer im Ganzen aus einer Muschel geschnitten, jedes Exemplar ein Unikat von hauchzarten 0,4 Millimetern – so dünn wie ein menschliches Kopfhaar. Um das Zifferblatt vor Bruch zu schützen, wird es auf eine dünne Messingscheibe montiert, die für besonders schimmernde Effekte zuvor farbig lackiert wird. Für die Aufbringung von Logo oder Ziffern wird das Perlmutt in zwölf verschiedenen Schritten bedruckt, wobei es jedes Mal zu bersten droht. Noch schwieriger wird es beim Ausstanzen der verschiedenen Anzeigen und dem Applizieren von Edelsteinen und Indizes.

Alles entsteht unter dem Mikroskop von Menschenhand. Keine Maschine ist zu dieser Arbeit in der Lage. Es braucht Fingerspitzengefühl, und im besten Fall die zarten Hände einer Elfe.

AUTORINNEN: Michelle Mussler und Friederike Weissbach

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