Coperni: Schritte ins Morgen - séduction Magazin Germany
Coperni: Schritte ins Morgen - séduction Magazin Germany
FASHION

Coperni: Schritte ins Morgen

Von Redaktion 17/06/2024
Credit: Gorka Postigo
S

Spektakulär futuristische Inszenierungen auf dem Laufsteg, Social-Media-Hypes und so elegante wie junge Looks: Die Coperni-Designer Sébastien Meyer und Arnaud Vaillant machen Lust auf eine neue Zukunft der Mode.

Der Moment, in dem das Label Coperni ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit trat, lässt sich präzise an einem Datum festmachen: Es war der 30. September 2022, als am Ende der Schau für die Frühjahrs- und Sommerkollektion des kommenden Jahres das Topmodel Bella Hadid auf dem Laufsteg erschien. Bekleidet war Hadid nur mit einem Slip. Dann traten zwei schwarz gekleidete Herren mit Spritzpistolen an sie heran und besprühten sie mit einer hellen Flüssigkeit, die am Körper des Models zu Fasern gerann, die sich schließlich zu einem eng anliegenden, weißen Gewand verdichteten. Eine Assistentin legte ein paar letzte Handgriffe an und verwandelte es mit einem Schnitt in ein sexy geschlitztes Cocktailkleid.

STAR-AUFTRITT: Während der Schau für Frühjahr / Sommer 2023 ließen die Designer dem Model Bella Hadid ein Kleid auf den Leib sprühen. Die virale Aktion machte das Duo weltberühmt. Credit: Courtesy of Coperni

Bilder und Videos der Aktion gingen über Nacht viral. Die Followerzahlen der Marke schnellten in den Tagen danach in die Höhe, gegenwärtig liegen sie bei rund 860 000. Internationale Medien berichteten über das Phänomen, nicht nur die Modepresse. Und plötzlich waren sie berühmt, die jungen Kreativen Sébastien Meyer und Arnaud Vaillant. Nicht jedem gefiel ihre Performance. Manche erinnerte sie an Alexander McQueens Schau für Frühjahr/Sommer 1999, als er das Model Shalom Harlow in einem weißen Kleid zwischen zwei Industrieroboter stellte und es in einer ungleich bedrohlicheren, aber auch beeindruckenderen Aktion mit Farbe besprühen ließ.

Ein Auftritt von Bella Hadid machte das Label über Nacht bekannt.

Für Rachel Tashjian, Kritikerin der amerikanischen »Harper’s Bazaar«, war der Coup von Coperni sogar nur ein »leerer Trick«. Das Material Fabrican sei seit 20 Jahren bekannt (wird allerdings mehr im medizinischen Bereich bei Verbänden genutzt) und ein Konzept für die Anwendung in der Mode nicht in Sicht. Zuletzt sei auch das entstandene Kleid selbst so belanglos, dass nur ein Supermodel wie Bella Hadid es halbwegs würdevoll über den Laufsteg retten könne. Auch die zuvor in der Show gezeigte Kleidung fand Tashjian »unauffällig«: bedruckte Minikleider in schwarzem Grundton, Hotpants, kleine Jacken mit hochgezogenen Schultern und Cargohosen mit Tanktops.

Was Tashjian womöglich übersah: dass der utopische, technische, vielleicht sogar der nachhaltige Aspekt eine jüngere Generation anspricht. Nicht ohne Grund blieben Follower, die das Spektakel auf Copernis Instagram-Account gelockt hatte, dort auch. Sébastien Meyer und Arnaud Vaillant haben das Internet und Social Media nicht »verstanden«. Sie wirken nicht wie Strategen, die bei einer jungen Generation andocken und so Produkte verkaufen wollen. Sie sind selbst erst in ihren 30ern, Digital Natives, Social Media ist ihnen ein vertrauter Raum, ein Zuhause. Und könnte es nicht auch sein, dass jungen Modebegeisterten die hautschmeichelnde haptische Qualität von Stoffen oder die Selbstreflexion von Designern, die Mode über die Mode, Kleider als Analyse und Dekonstruktion des Kleidermachens entwerfen, vielleicht weniger wichtig ist, als in ihrer Kleidung gut auszusehen? Ihre Zeit, ihr Leben und ihre Vorstellungen gespiegelt zu sehen?

Denn das leisten Sébastien Meyer und Arnaud Vaillant mit Coperni: Looks für die Gegenwart vorzuschlagen, textile Angebote an das Leben und Rüstungen gegen dessen Zumutungen. Manche davon wirken leicht überdreht, die meisten aber cool, selbstverständlich, entspannt tragbar. Und ein Hauch Utopie, eine Ahnung von Zukunft und ein Moment der Nostalgie für eine Gegenwart, die schnell Vergangenheit wird, ist auch dabei. Der größte Accessoires-Hit des Labels, die »Swipe Bag«, ist nach dem grünen iPhone-Button gestaltet, mit dem sich Funktionen an- und ausschalten lassen. Es gibt sie auch aus Glas und als CD-Player. Das ist dann echte Nostalgie für die Nuller- und frühen Zehnerjahre, die Prä-Streaming-Ära. Manchen gilt die »Swipe« als erste It-Bag der 2020er.

Natürlich ist der Erfolg des immer noch relativ kleinen Labels kein Zufall. Die Szene kennt Sébastien Meyer und Arnaud Vaillant schon länger. Beide stammen aus dem Süden Frankreichs, lernten sich aber erst 2009 an ihrer Pariser Modeschule kennen und wurden beruflich wie privat ein Paar. Meyer studierte Modedesign, Vaillant spezialisierte sich auf Modemanagement. Ein wenig erinnert das an die frühe Partnerschaft von Yves Saint Laurent und Pierre Bergé. Vaillant arbeitete über Jahre als Assistent bei Balenciaga und Chanel, Meyer verfolgte verschiedene Designprojekte. 2013 erfüllten sie sich ihren gemeinsamen Traum und gründeten Coperni.

Immer schwingt bei Coperni ein Hauch Utopie mit

Benannt ist die Marke nach dem Astronomen Kopernikus, der in der Renaissance als Erster erkannte, dass sich die Erde als ein Planet unter anderen um die Sonne dreht und nicht andersherum, wie es die Kirche lehrte. Eine grundlegende Erkenntnis, die ein Weltbild stürzte und ein neues schuf. Das Modelabel gewann zwar 2014 einen Kreativpreis und wurde 2015 für den LVMH-Preis nominiert, legte aber schon im selben Jahr eine Pause ein. Denn das seit den 1960er Jahren für futuristische Looks berühmte Couture-Haus Courrèges engagierte Sébastien und Arnaud als Kreativdirektoren, um der Traditionsmarke neues Leben (und neue Relevanz) zu geben. Als das nach zwei Jahren getan war, kehrten sie zu ihrem eigenen Projekt zurück und wagten mit Coperni einen Relaunch.

Damit erschienen sie genau rechtzeitig in der Modewelt, um tatkräftig an der Renaissance von Paris mitzuarbeiten. Die französische Hauptstadt hat in den letzten Jahren viel vom Musealen, das sie lange prägte und lähmte, abgeschüttelt, ist kulturell wieder Trendsetterin mit Ausstellungen und Events, die weit ausstrahlen. Aber es sind vor allem auch junge Kreative wie Meyer und Vaillant, die Veränderungen bringen und sich den Herausforderungen der Zukunft stellen.

Hinzu kommt, dass auch in der Mode selbst die Karten neu gemischt werden. In der Öffentlichkeit sichtbar wird dieser Wandel vor allem in brillanten Rückzugsgefechten der etablierten Modegrößen wie John Galliano, dessen magische Schau für seine Artisanal-Kollektion bei Maison Margiela im Januar sogar Copernis Social-Media-Moment mit Bella Hadid um Längen schlug.

Models und Performerinnen, geschminkt wie Puppen mit gläsern wirkender Haut, Tänzer wie dünne Gauner längst vergangener Jahrzehnte in einer ebenso furchtgebietenden wie erotisch makabren Inszenierung unter einer Brücke in Paris. Eine Art wollüstige Versammlung der Geister und Zombies, der Ideen von Provokation, Sexualität und Abenteuerlichkeit, denen das ganze 20. Jahrhundert nachhing. Ein Gespensterumzug von Verführung, Versprechen und Gefahr, der sich ein für allemal aus der Welt verabschiedet.

Ohne ein gewisses dystopisches Moment kommt wohl kaum eine Modemarke mehr aus. Dennoch könnte der Kontrast zu Coperni kaum größer sein. In der Schau für Herbst/Winter 2023/24 schickte das Label fünf Exemplare des Roboterhundes »Spot« der Firma Boston Dynamics zusammen mit seinen Models auf die Bühne. Das Unternehmen, das auch mit dem Militär zusammenarbeitet, möchte »Spot« als treuen Begleiter verstanden wissen. Doch die Roboterhunde wirken eher wie Aliens, befremdlich und leicht beängstigend.

Besonders seit das New Yorker Künstlerkollektiv MSCHF, bekannt geworden mit völlig überdimensionierten Kunststoffboots, die jede und jeden in eine Comicfigur verwandeln, in seinem Video »Spots Rampage« zeigte, dass man auf dem Robo-Dog auch eine Waffe installieren kann. Im Video ist es nur ein Gewehr, das Paintball-Farbkugeln verschießt und eine Ausstellung mit Nachbildungen bekannter Kunstwerke niedermacht. Bei Boston Dynamics war man dennoch wenig amüsiert darüber. Und ein leises Unbehagen lässt einen auch bei der ungleich zahmeren Performance der »Spots« auf dem Laufsteg von Coperni nicht los. Die gegenwärtigen – und erst recht die zukünftigen – Verhältnisse zwischen Menschen und intelligenten Maschinen sind eben noch lange nicht ausverhandelt. Zumindest kann man sich für diese Zukunft schon jetzt passend kleiden. Auch das erzählt diese Show.

In den folgenden Defilees haben Sébastien Meyer und Arnaud Vaillant bislang auf weitere spektakuläre Effekte verzichtet. Vielleicht auch, um das Auge der Öffentlichkeit wieder stärker auf ihre Mode zu richten. Die ist einen genaueren Blick durchaus wert: Da trifft elegante französische Schneiderkunst auf jugendlichen Chic, geometrisch-skulpturale Schnitte kontrastieren mit verspielten Elementen und minimalisierten Haute-Couture-Zitaten. Manche Looks wirken fast brav, andere durch Cut-Outs oder Transparenzen sehr sexy. Es gibt Extravaganzen oder kalkulierte Lässig- und Nachlässigkeit. Und immer wieder auch kleine Provokationen und Frechheiten, wie kurze Jeans mit Rüschen am Knie.

Ideen haben Sébastien und Arnaud noch genug, modische und auch sonst. Für ihre Weihnachtskampagne zum letzten Fest fotografierten sie die Looks nicht an Models, sondern als menschenfreie Stillleben mit jungen Katzen. Für die Zukunft kann man von Coperni noch einiges erwarten. Und vielleicht werfen sie das Mode-Weltbild tatsächlich eines Tages noch um, so wie ihr Namensgeber einst das astronomische.

AUTOR: Bernd Skupin

Auch interessant: Alaïa is back