
Scheherazade hat einen männlichen Gegenpart bekommen: SERGE LUTENS erzählt mit seinen Parfums Märchen aus Tausendundeiner Nacht – und noch mehr.
Seine Kreationen brechen alle Konventionen. Überraschen. Verwirren. Überzeugen. Und duften nach nie erlebten olfaktorischen Sensationen. MAGISCHE MOMENTE. In vieler Hinsicht beeinflusst von seiner Wahlheimat Marrakesch.

Credit: Patrice Nagel
Der in Lille geborene Serge Lutens wohnt seit 1968 die meiste Zeit des Jahres in Marrakesch – und lebt dort seinen Traum. Seine Familie ist ein altes Haus in der Medina, das er gefunden, erfunden, zu neuen Höhenflügen gebracht hat, ohne jeweils die Sensibilität marokkanischer Traditionen zu verletzen. Jedes Zimmer ist sein Kind – individuell, aber mit gleicher Liebe gestaltet. Ähnlich verfährt der Autodidakt mit seinen Düften. Premiere 1992 mit „Féminité du bois“, einem Parfum für Frauen, das erstmals Nuancen von Zedernholz enthielt. „Tabus brechen, gegen den Strom schwimmen, das bin ich“, sagte der heutige Großmeister der Parfumeure damals. Mitterweile hat er über 80 Düfte kreiert. Seine neuesten Schöpfungen „Périlleusement vôtre“ und „Fils de joie“ verblüffen wie gewohnt: mit Noten von Oud, Damaszener-Rose und Zedernholz sowie Jasmin, Ylang-Ylang und Moschus.
Wie haben Sie Düfte in Ihrer Kindheit wahrgenommen?
Erwiesenermaßen nimmt man als kleines Kind – etwa bis zum Alter von sieben – ständig neue, nie erahnte Gerüche wahr. Zusammenfassend möchte ich sagen, dass es Düfte waren, die Trost spendeten. Oder die mich abgestoßen haben.
Hat Ihre Mutter ein Parfum benutzt? Wenn ja, welches?
Ich wurde 1942 geboren, und in dieser Zeit war Frankreich absolut am Boden. Parfum? Eine undenkbare Kostbarkeit. Ich bin mit dem Duft ihrer Haut und ihrer Haare aufgewachsen. Wir hatten wenig. Waren aber glücklich.
Mit vierzehn absolvierten Sie eine Lehre in einem Friseursalon. Inwieweit hat das Ihre spätere Karriere in der Beauty-Szene beeinflusst?
Mein sehnlichster Wunsch war, Schauspieler zu werden. Aber mein Vater fand eine Friseur- lehre sinnvoller. Auf alle Fälle hatte dieser Beruf auch mit Kreativität zu tun, das war mir damals schon wichtig. Nach zwei Jahren traute ich mich zu experimentieren. Glatte Bobs statt dekorativer Locken. Und immer öfter auch Frisuren, die die Gesichter freilegten. Die die wahre Seite von natürlicher Schönheit offenbaren konnten. Das Gesicht als Gesicht – unabgelenkt schön. Damals begann ich, mich nicht von gängigen Trends in Mode und Beauty beeinflussen zu lassen. Ich wusste, ich werde meinen eigenen Weg finden.
Sie haben danach als Make-up Artist und Hairdresser für die französische VOGUE gearbeitet, dann wurden Sie Creative Director für Dior Beauté und Shiseido. Dazwischen haben Sie auch fotografiert. Wer hat Ihnen all das beigebracht?
Ich habe mir all das selbst beigebracht. Trotzdem fühlte ich mich weder als Make-up Artist noch als Friseur oder Fotograf – das waren Berufsbezeichnungen, die mir andere verliehen hatten. Ich wollte meine ganze Aufmerksamkeit schon immer den Frauen jenseits aller Konventionen widmen. Je rebellischer, desto besser. Ein bisschen wie ich.
Wie haben Sie Marrakesch entdeckt? Oder entdeckte es Sie? Seit den 1960er-Jahren war es ja für die Beautiful People aus Paris – Pierre Bergé, Yves Saint Laurent – absolut angesagt, dort Zeit zu verbringen. Haben Sie sich gekannt?
1968 war Marrakesch noch nicht in Mode. Ein paar Hippies, kaum Hotels. Ich kam dorthin, um mich von Paris zu erholen. Erst in den 1970er-Jahren lernte ich über den Interior Designer Bill Willis Yves Saint Laurent kennen. Bill, obwohl in Tennessee geboren, hatte das beste Händchen für marokkanisches Styling. Er hat auch die Villa Oasis von Pierre Bergé und Yves eingerichtet.

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Wie sind Sie schließlich zu dem Entschluss gekommen, Parfums zu kreieren?
Mit meinen Fotos habe ich künstliche Visionen von Frauen geschaffen. Sie existierten nur durch die Linse meiner Kamera. Ich stellte mir vor, wie es wäre, sie mithilfe eines Duftes zum Leben zu erwecken.
Haben Sie früher Parfums benutzt?
Niemals. Als ich angefangen habe, meine eigenen Düfte herzustellen, habe ich sie natürlich ausprobiert. Aber in dem Moment, in dem das Parfum fertig war, war es für mich persönlich nicht mehr interessant.
Ihre Parfums tragen ungewöhnliche Namen. Die letzten heißen „Fils de joie“ und „Périlleusement vôtre“. Sind das Ihre Eingebungen?
Natürlich. Die Namen der Parfums kann nur ich mir ausdenken. Das ist die Krönung, das Finale einer Kreation. „Fils de joie“ bedeutet „Sohn der Freude“ und ist eine Anspielung auf meine Kindheit. Ursprünglich war ich
ein unbeabsichtigtes Kind der Liebe. „Périlleusement vôtre“ symbolisiert die Beschwörung einer Gefahr, zum Beispiel den nahen Sturz von einer vom Salzwasser zernagten Klippe. Sie erkennen daran, dass Harmlosigkeit in meinen Parfums nicht stattfindet.
Haben Sie einen Lieblingsduft?
Niemals. Wenn ein Parfum fertiggestellt ist, ist auch mein Interesse daran erloschen. Es wartet ein nächstes Erlebnis auf mich. Das ist genau wie bei meinem Haus: Es ist niemals fertig, ich kaufe immer noch umliegende Riads dazu, ich brauche für mich zwar nur ein kleines Zimmer, aber ich sehe das Haus als mein Lebenswerk an.
Aber Sie können uns doch sicher das Geheimnis eines guten Parfums erklären?
Das ist der Duft selbst. Er entscheidet für die Trägerin: Bin ich selbstbewusst? Oder zögerlich?
Welche ist Ihre liebste Jahreszeit?
Ich liebe es, jederzeit zu leben. Ich glaube, ich existiere zwischen den Jahreszeiten.
Wie leben Sie in Marrakesch? Sie erwähnten ein Zimmer – und haben doch ein Haus?
Ich lebe in einem Zimmer mit unzähligen Büchern, Schreibstiften, Brillen, weil ich die immer wieder verliere – alles auf das Nötigste reduziert. Mein Haus in der Medina von Marrakesch ist so wunderschön, dass es mich davongejagt hat. Es sollte optimal sein, wurde dann aber für mich allein zu perfekt.
Haben Sie manchmal Sehnsucht nach Frankreich?
Ich fühle mich dort nicht mehr zu Hause. Aber aus der Entfernung liebe ich das Land noch immer. Die Abwesenheit erlaubt uns, Dinge zu verherrlichen.
Riechen und Schmecken gehören ja zusammen. Was kitzelt Ihren Gaumen?
Mittlerweile ist Essen für mich eine lästige Pflicht. Eine leichte Suppe, ein Butterbrot, Kartoffeln mit Vinaigrette, ein paar Tomaten – mehr brauche ich nicht. Die Zeit der Dinners ist momentan leider vorbei. Für wen sollte ich aufwendig kochen? Ich beköstige mich.
Bestimmt lieben Sie Musik. Verraten Sie uns Ihre Favoriten?
Ich mag Bach, Mozart, Schubert, Schumann, aber das sind die alten Meister. Jazz von Duke Ellington und Coleman Hawkins finde ich auch grandios. Und natür lich meine liebsten Russen wie Strawinsky und Rachma ninow. Aber wenn ich es überdenke, bleibt Bach mein Favorit.
Auf offiziellen Fotos tragen Sie immer einen schwar zen Anzug und ein weißes Hemd. Was wählen Sie für sich aus, wenn Sie ganz privat sind?
Natürlich auch etwas Schwarzes. Einen Tracksuit oder einen Dressing Gown.
Zum Schluss etwas ganz Privates: Was macht Sie glücklich?
Dass wir am Ende des Interviews sind. Aber danke für die Fragen, die ich gern beantwortet habe. Ich genieße den Himmel über Marrakesch. Die gewürzträchtige Luft. Und meinen bequemen Dressing Gown.